Kaum ein Begriff im Kontext beruflicher Neuorientierung übt eine so starke Anziehungskraft aus – und wirkt zugleich so geheimnisvoll – wie der des „verdeckten Arbeitsmarkts“. Gemeint sind damit all jene Positionen, die nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern auf anderem Weg besetzt werden: über persönliche Netzwerke, interne Entwicklungen, Empfehlungen oder durch Headhunter.
Gerade erfahrene Fach- und Führungskräfte setzen große Hoffnungen in diesen Markt: attraktive Positionen, jenseits des sichtbaren Teils der Stellenangebote, scheinbar nur zugänglich für gut Vernetzte oder „Eingeweihte“. Doch wie groß ist dieser Markt tatsächlich? Welche Mechanismen stecken dahinter? Und wie realistisch ist es, auf diesem Weg einen neuen Job zu finden?
Wie groß ist der verdeckte Stellenmarkt wirklich?
Der Begriff zieht viel Aufmerksamkeit auf sich – umso bemerkenswerter ist es, dass es kaum einheitliche und belastbare Zahlen zur tatsächlichen Größe dieses Marktes gibt. Zwar äußern viele „Experten“ eine Einschätzung, dass dieser Markt einen wesentlichen Teil des gesamten Stellenmarkts ausmacht, doch fundierte Studien sind rar – und liefern teils deutlich voneinander abweichende Ergebnisse:
- Der Stellenmarkt-Monitor Schweiz kommt zu dem Ergebnis, dass nur etwa 20 % der Stellen über verdeckte Kanäle wie persönliche Netzwerke oder Social Media besetzt werden. 1)
- Eine LinkedIn-Umfrage unter 750 Recruitern ergab, dass 51 % der Befragten davon ausgehen, dass der verdeckte Stellenmarkt weniger als 50% des Gesamtmarktes ausmacht, in Summe 72% gehen davon aus, dass er weniger als 75% ausmacht.2)
- Die George Washington University Career Services nennt Werte von 70 % und mehr. 3)
Diese große Bandbreite lässt aufhorchen: Der verdeckte Arbeitsmarkt ist ein komplexes, schwer greifbares Phänomen – beeinflusst durch regionale Unterschiede, branchenspezifische Besonderheiten, Unternehmensgröße und Hierarchieebene. Allein durch diese Faktoren lassen sich die erheblichen Unterschiede in den Zahlen jedoch nicht vollständig erklären.
Es ist entscheidend zu klären, was genau unter dem Begriff „verdeckter Arbeitsmarkt“ verstanden wird. In einigen Aussagen werden beispielsweise alle Stellen, die nicht an die Arbeitsagentur gemeldet werden, dem verdeckten Markt zugerechnet – obwohl viele dieser Stellen durchaus extern ausgeschrieben sein können, etwa auf Unternehmenswebsites oder in Fachportalen.
Eine genauere Betrachtung legt zudem nahe: Ein erheblicher Teil der nicht ausgeschriebenen Stellen entfällt auf interne Besetzungen – etwa durch Beförderungen oder firmeninterne Umstrukturierungen. Dies überrascht nicht, schließlich wollen Unternehmen ihre eigenen Mitarbeiter entwickeln. Nur – solche Positionen sind für externe Bewerber:innen faktisch nicht zugänglich. Der Begriff „verdeckt“ bedeutet also nicht automatisch auch „erreichbar“.
Aus Sicht von externen Stellensuchenden sind nur die Positionen relevant, die zwar nicht ausgeschrieben, aber prinzipiell extern zu besetzen sind – etwa durch persönliche Empfehlung, durch die gezielte Suche eines Headhunters oder über individuelle Direktansprache.
Zwischenfazit
Der realistisch zugängliche Teil des verdeckten Stellenmarkts ist deutlich kleiner als die oft genannten 70–80 %; er bewegt sich wahrscheinlich eher im unteren Drittel der oben genannten Bandbreite. Dennoch sollte er strukturiert adressiert werden – zum einen, weil der Anteil mit steigender Hierarchieebene zunimmt, und zum anderen, weil sich vergleichsweise wenige Mitbewerber gezielt auf diesen Markt konzentrieren.
Die Wichtigkeit und Grenzen von Netzwerken
In vielen Studien und Praxisberichten wird auf die zentrale Bedeutung von Netzwerken für den Zugang zum verdeckten Stellenmarkt hingewiesen. In der Umsetzung erweist sich dieser Weg jedoch als schwieriger als gedacht. Selbst gut vernetzte Personen machen häufig die Erfahrung angenehmer Gespräche, aus denen jedoch selten Folgegespräche oder gar konkrete Jobangebote entstehen.
Diese Ernüchterung ist nachvollziehbar und lässt sich erklären. Denn damit aus einem Netzwerk-Kontakt tatsächlich ein „Match“ wird, müssen mehrere Faktoren zusammenkommen:
- Timing: Eine für die eigenen Qualifikationen passende Stelle (bei der man einen Mehrwert leisten kann) muss zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme oder kurz danach tatsächlich vakant sein.
- Kenntnisstand: Der Kontakt muss über die Vakanz informiert sein – was insbesondere bei großen Unternehmen oder außerhalb der eigenen Abteilung oder Funktion nicht selbstverständlich ist.
- Vertrauensverhältnis: Der Kontakt muss bereit sein, die vertrauliche Information zu teilen und ggf. eine Empfehlung auszusprechen. Damit geht auch ein gewisses persönliches Risiko einher.
Gerade bei sensiblen Positionen im oberen Management ist diese Zurückhaltung nachvollziehbar. Die Verantwortung, einen Dritten zu empfehlen, wiegt schwer. Auch aus Unternehmenssicht ist Diskretion in solchen Fällen oft oberstes Gebot. Dieses Problem trifft auch auf Berater zu, die ihre Netzwerke als Dienstleistung anbieten: Zwar kennen sie die Kandidat:innen selbst, doch die angesprochenen Kontakte innerhalb des Netzwerks müssten die Empfehlung übernehmen ohne die betreffende Person überhaupt zu kennen – was die Weiterempfehlung erheblich erschwert.
Zwischenfazit
Netzwerke können ein wertvoller Hebel sein – sie funktionieren jedoch nur unter bestimmten Bedingungen und mit einer realistischen Erwartungshaltung. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle nötigen Faktoren gleichzeitig eintreten, ist gering.
Die Rolle von Headhuntern
Headhunter gelten als zentrale Akteure im verdeckten Arbeitsmarkt. Für viele Stellensuchende sind sie die Hoffnungsträger: gut vernetzt, informiert und in direktem Kontakt mit Entscheidern. Geht man initiativ auf sie zu, machen viele Kandidaten jedoch enttäuschende Erfahrungen: Kontaktaufnahmen bleiben unbeantwortet, allgemeine Vorgespräche verlaufen folgenlos.
Zum Verständnis der Hintergründe hilft ein Blick auf Zahlen: Laut einer Branchenstudie des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberatungen (BDU) wurden im Jahr 2021 rund 76.000 Stellen durch Headhunter besetzt. 60 % der platzierten Kandidat:innen hatten ein Zieleinkommen zwischen 100.000 und 250.000 Euro. Die Branche selbst umfasst etwa 15.000 Beraterinnen und Berater.
Diese Daten weisen auf ein zentrales Problem hin: Bei einer so hohen Zahl aktiver Berater:innen ist die Wahrscheinlichkeit, den richtigen Ansprechpartner zur richtigen Zeit zu erreichen, vergleichsweise gering – selbst bei dutzenden Kontaktversuchen.
Hinzu kommt: Wer sich aktiv bewirbt, wird von Headhuntern nicht automatisch bevorzugt. Im Gegenteil – es lässt sich seitens des Headhunters schwer einschätzen, ob und warum eine Person suchend ist. Viele Berater:innen bevorzugen es daher, selbst zu suchen und gezielt anzusprechen, statt Initiativbewerbungen zu verarbeiten.
Ein weiteres Hindernis: Der oder die Bewerber:in kennt in der Regel nicht die exakten Anforderungskriterien hinter einem Suchauftrag. Die Bewerbung bleibt zwangsläufig allgemein – und kann den tatsächlichen Mehrwert schwer darlegen.
Zwischenfazit
Wie bei Netzwerken gilt auch bei Headhuntern: Es müssen mehrere Faktoren zusammentreffen, damit ein Kontakt fruchtbar wird. Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist – nüchtern betrachtet – eher gering.
Direktansprache von Unternehmen
Die Direktansprache von Unternehmen durch Bewerberinnen und Bewerbern wird im Zusammenhang mit dem verdeckten Stellenmarkt eher weniger betrachtet. Und es mag angesichts der obigen Ausführungen zum Netzwerkzugang und zu Headhuntern auf den ersten Blick noch unwahrscheinlicher und schwieriger erscheinen, auf diesem Weg erfolgreich zu sein.
Dies ist jedoch nur bedingt richtig. Zwar hat man tatsächlich eine hohe Ablehnungsquote, wenn man standardisierte Initiativbewerbungen an zentrale Mailadressen sendet. Das Ergebnis sind oft frustrierende Erfahrungen mit vielen freundlich formulierten Standardabsagen.
Anders verhält es sich bei einer individuell vorbereiteten und gezielt gesteuerten Ansprache. Hier können entscheidende Vorteile genutzt werden:
- Recherchierte Informationen über aktuelle Entwicklungen und strategische Veränderungen im Zielunternehmen.
- Identifikation konkreter Ansprechpartner, idealerweise auf Führungsebene oder im relevanten Fachbereich.
- Präzise Formulierung des eigenen potenziellen Wertbeitrags, passend zur aktuellen Unternehmenssituation.
Denn letztlich geht es nicht nur darum, eine offene Position zu finden, sondern sich bei einer Vakanz auch gegenüber Mitbewerbern durchzusetzen. Wer proaktiv auf den Bedarf eines Unternehmens Bezug nimmt und eine konkrete Lösung anbietet, hat gegenüber reaktiven Bewerbungen einen klaren Vorteil.
Zwischenfazit
Die gezielte Direktansprache ist kein einfacher Weg, aber ein wirksames Mittel, um den verdeckten Stellenmarkt zu erschließen. Erfolg hat, wer individuell, gut vorbereitet und auf Augenhöhe kommuniziert.
Gesamtfazit und Ansatz
Es gibt kein Allheilmittel und keinen schnellen Erfolgsweg im Bereich des verdeckten Stellenmarkts. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem spezifischen Unternehmen oder einem bestimmten Headhunter genau im richtigen Moment einen Treffer zu landen, ist eher gering.
Erfolg in diesem Bereich erfordert daher einen breiten Ansatz, der sämtliche relevanten Kanäle einbezieht. Die Erfolgschancen lassen sich vor allem dadurch steigern, dass die Ansprache an das jeweilige Unternehmen oder die jeweilige Zielperson angepasst wird und der eigene konkrete Wertbeitrag klar und prägnant kommuniziert wird.
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Quellen:
1) Die Volkswirtschaft: Verdeckte Stellenmarkt in der Schweiz eher klein. https://dievolkswirtschaft.ch/de/2018/10/stellenausschreibung-buchs-buchmann-10–2018/
2) LinkedIn (Umfrage): Shining light at hidden job market (https://www.linkedin.com/pulse/shining-light-hidden-job-market-andrew-seaman/)
3) George Washington University Career Services: What is the hidden job market( https://careers.seas.gwu.edu/blog/2017/10/12/what-is-the-hidden-job-market/)
4) Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen (BDU): Branchenstudie Personalberatung 2022: Headhunter gefragt wie nie.(https://www.bdu.de/news/branchenstudie-personalberatung-2022-headhunter-gefragt-wie-nie/)